Esportinteressen stehen nicht über dem Grundgesetz

Von Dr. Kirsten Tönnies & Martin von Berswordt-Wallrabe

Gesunde Tiere zu töten, widerspricht dem Schutzgedanken des Grundgesetzes. Trotzdem wird es gemacht, erst kürzlich zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche. Kirsten Tönnies und Martin von Berswordt-Wallrabe plädieren in ihrem Standpunkt für einen anderen Weg: Impfen und testen.

Der Präsident der Bundesärztekammer ruft seine Kolleg:innen öffentlich dazu auf, endlich das Wohl ihrer Patientinnen und Patienten an erste Stelle zu setzen. Eine absurde Vorstellung? Absolut.

Gleiches passiert aber derzeit in der veterinärmedizinischen Welt. Der Präsident des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte, Siegfried Moder, der auch Präsident der Federation of Veterinarians of Europe ist, hat jüngst auf einer Tagung in Bayern seinen Kolleg:innen laut einem Bericht ins Stammbuch geschrieben: Die Tiergesundheit zu priorisieren sei Pflicht für Tierärzte.

Erstaunlich, dass das offenbar eigens betont werden muss. Und das von einem Verbandspräsidenten, dem aus den Reihen der Tierärzte eine große Nähe zu landwirtschaftlichen Akteuren vorgehalten wird.

Unwissen, Unklarheiten, Versäumnisse

Was war passiert? Das seit Jahrzehnten erste Auftreten der Maul- und Klauenseuche (MKS) Anfang 2025 in Brandenburg hat in Deutschland die Debatte um den Umgang mit Tierseuchen befeuert. Denn derzeit mischen sich hier auf fatale Weise wirtschaftliche Interessen mit rechtlichen Unklarheiten, Unwissen bei ausführenden Behörden und einem Versäumnis des Staates, die Maßnahmen ernsthaft am im Grundgesetz verbrieften Schutz der Tiere auszurichten.

In Brandenburg wurden gesunde Tiere noch vor dem Vorliegen eines Testergebnisses getötet – eine Seuchenbekämpfung aus dem letzten Jahrhundert, obwohl sich die Welt tiermedizinisch, wissenschaftlich, gesellschaftlich und gesetzlich weitergedreht hat. Ein Wissenschaftler:innen-Team der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht um Teresa Katharina Harrer und Bernhard Kreße von der Fernuniversität Hagen sieht in diesen Bekämpfungsmaßnahmen sogar klare Verstöße gegen das Tierschutzrecht.

Doch selbst das in den vergangenen Jahren erarbeitete gemeinsame europäische Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten (siehe delegierte Verordnung von 2022) orientiert sich weiterhin an der Strategie des prophylaktischen Tötens großer Tierbestände zum Seuchenschutz.

Flickenteppich des Wissens

Besteht Tierschutz also nur auf dem Papier, nicht jedoch im „Eifer des Gefechtes“ gegen ein zur maximalen Bedrohung hochstilisiertes Virus, das für die Tiere selten tödlich, für den Menschen sogar völlig harmlos und allein für die Exportinteressen einzelner Agrar-Akteure gefährlich ist? Denn weil es mit früheren Impfstoffen schwierig war, geimpfte von erkrankten Tieren zu unterscheiden, können Länder mit Impfprogrammen keinen Status der MKS-Freiheit erhalten und haben damit keinen Zugang zu bestimmten Exportmärkten.

Begünstigt wird dieser aus der Zeit gefallene Ansatz durch einen Informations- und Wissens-Flickenteppich bei den Veterinärämtern vor Ort, der sich möglicherweise in den letzten Monaten auch durch die vielen Informationsbemühungen des Friedrich-Löffler-Instituts gebessert hat. Noch immer aber ist es Glückssache, ob ein Veterinär vor Ort an eine primäre Übertragung über die Luft glaubt oder sich auf dem aktuellen Stand des Wissens befindet: Vor allem wird MKS über direkten Kontakt der Tiere oder ein direktes Weitertragen von Sekreten an Stiefeln, Geräten und Fahrzeugen übertragen.

Selbst von der deutschen „Maul- und Klauenseuchenverordnung“ ist noch die Rede, obwohl diese nicht mehr anwendbar ist, weil das zwischenzeitlich erlassene EU-Recht Anwendungsvorrang besitzt.

Handlungsmöglichkeiten jenseits massenhafter Tötung

In dem komplexen Zusammenspiel aus europäischen Verordnungen und nationalen Handlungsspielräumen fehlt es an transparenten Plänen für das Handeln der Behörden, in welchen der Tierschutz ebenso wie die Grundrechte betroffener Tierhalter erkennbar die Rolle spielen, die höherrangiges Recht nach Einschätzung von Harrer und Kresse zwingend vorgibt.

Schließlich haben sich längst neue Handlungsmöglichkeiten jenseits der massenhaften Tötung gesunder Tiere entwickelt. Mit Impfungen, die zum Schutz der Tiere eingesetzt werden können, und die es auch erlauben, nachzuweisen, ob ein Tier Antikörper nur aufgrund des Impfstoffs oder aufgrund einer früheren Infektion gebildet hat. Damit wären trotz Impfungen Exporte weiterhin möglich – wenn man es nur in internationalen Verhandlungen durchsetzen will.

Ein im Grundgesetz verankertes Gut wie der Tierschutz sollte dies wert sein. Neue und günstig zu produzierende mRNA-Impfstoffe, wie sie jetzt am Friedrich-Löffler-Institut erfolgreich getestet wurden, würden die Handlungsspielräume zugunsten des Tierschutzes erhöhen, wenn sie denn umgesetzt werden.

Klarer Auftrag des Grundgesetzes

Die krude Argumentation, die Tötung von Tieren im Verdachtsfall sei eigentlich Tierschutz, weil Ansteckungen verhindert werden, ist nicht nur ethisch grenzwertig, sondern in dem Moment schlicht falsch, in dem es Alternativen zur Tötung gibt, die aber mehr Aufwand verlangen. Isolation, Beobachtung, Impfungen, Testungen – selbst wenn dazu ganze Höfe abgesperrt werden müssen: Tierschutz darf nicht einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Abwägung untergeordnet werden.

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere“. So absolut klar steht es im Grundgesetz. Dieser Schutzauftrag, so stellt es die damalige Gesetzesbegründung von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP klar, gilt den einzelnen Tieren. Dass gesunde Tiere nicht getötet werden dürften, sollte jedem klar sein.

Konsequent angewandt hieße dieser Ansatz, eine MKS-Erkrankung so zu behandeln, wie es die älteren Landwirte noch erlebt haben: mit weitgehend erfolgreichen Heilungen der Tiere, die heute zudem noch mit modernen Schmerzmitteln begleitet werden können. Tja, das war, bevor die Handelsinteressen das Kommando komplett übernommen haben und einzelne Tiere an Wert und Lebensrecht verloren haben.

Aber der gesellschaftliche Wind hat sich gedreht. Entsprechend vielstimmig wird inzwischen eine Überprüfung der Gesetzgebung und eine Diskussion über den Einsatz von Impfungen gefordert.

Schon im vergangenen Jahr hatten sich die Bundestierärztekammer und der Bundesverband für Tiergesundheit nachdrücklich für die Integration von Impfungen als zentrales Instrument in die strategische Bekämpfung von Tierseuchen ausgesprochen und „das in der Tierseuchenbekämpfung bisher etablierte System der präventiven Tötung gesunder Tierbestände im Falle von Ausbrüchen“ als nicht mehr zeitgemäß bezeichnet.

Auch die hessische Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin sieht eine präventive Keulung gesunder Tiere, erst recht, wenn keine belastbaren Testergebnisse vorliegen, im Widerspruch zum im Grundgesetz verankerten Tierschutz. So ein Vorgehen werfe erhebliche ethische sowie tierschutzrechtliche Fragen auf. Das werbeträchtige Ziel eines MKS-freien Seuchenstatus rechtfertige keine präventiven Keulungen.

Wirtschaftliche Lebensgrundlage erhalten

Das Bündnis Schützen statt Töten, in dem mehr als 120 Organisationen und Privatpersonen organisiert sind, darunter Tierärzt:innen, Jurist:innen, Lebenshöfe und Landwirt:innen, fordert ebenfalls, Tötungen von Tieren rund um einen Seuchenausbruch generell zu untersagen, solange kein positives Testergebnis vorliegt, und Impfungen klar Vorrang vor Tötungen einzuräumen.

Klar ist doch: Die wirtschaftlichen Interessen einiger exportorientierter Agrarkonzerne dürfen nicht über dem Lebensrecht der Tiere und der wirtschaftlichen Lebensgrundlage von Landwirtinnen und Landwirten stehen. Die Bundesregierung und die Länder haben es bisher versäumt, auf Grundlage des europäischen Rechts aktuelle Regelungen zu erlassen, die nicht allein den wirtschaftlichen Interessen der Exportunternehmen dienen, sondern auch dem Tierschutz sowie dem Schutz der betroffenen Landwirte und Tierhalter.

Das müssen sie jetzt unverzüglich nachholen. Denn die EU-Verordnung selbst schließt Impfungen zwar aus, aber – wie es die Jurist:innen sagen – nicht zwingend. Die Mitgliedstaaten haben also Spielräume, wenn sie nationale Vorgaben erarbeiten, auch auf Impfungen zu setzen.

Die Richtschnur einer solchen, zeitgemäßen nationalen Regelung unter Berücksichtigung des Grundgesetzes kann nur lauten: Impfen statt töten, testen statt töten – und letztlich auch: heilen statt töten.