Hier sehen Sie die Original-Webseite, veröffentlicht am 02.01.2024 von Katja Korf.
In Deutschland werden vor allem an Mäusen Tierversuche durchgeführt.
Halten Baden-Württembergs Behörden Kritiker von Tierversuchen absichtlich aus jenen Gremien fern, die Experimente an Tieren prüfen? Das werfen Tierschützer dem Land vor.
An Tieren darf man in Deutschland nur forschen, wenn diese aus wissenschaftlicher Sicht unvermeidbar sind. In Baden-Württemberg prüfen das sieben Expertenkommissionen. Diese sollen paritätisch mit Forschern und Tierschützern besetzt sein. Doch erneut wird an diesen Kritik laut. Der Vorwurf: die zuständigen Behörden versuchten, unbequeme Tierschützer aus den Gremien fernzuhalten.
Wie viele Tests an Tieren werden durchgeführt?
Zahlen zu Tierversuchen sammelt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Es zählte im Jahr 2022 rund 2,4 Millionen Verwendungen von Versuchstieren, ein Minus von 2,6 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021. Hinzu kamen 1,77 Millionen Tiere, die zwar für Tierversuche gezüchtet oder vorgesehen waren, aber nicht eingesetzt und getötet wurden. Am häufigsten forschen Wissenschaftler an Mäusen, Fischen und Ratten. Es gibt allerdings auch Versuche mit Hunden (im Jahr 2022 an rund 2870) und Affen (2002 an rund 2200). Unter anderem forschen Wissenschaftler in München, Ulm, Heidelberg, Tübingen und Stuttgart an Tieren. Baden-Württemberg und Bayern liegen wegen ihrer Hochschulstandorte im Bundesvergleich bei der Zahl der Tierversuche im Spitzenfeld.
Unter welchen Bedingungen sind Tierversuche in Deutschland erlaubt?
Zunächst einmal nur, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Das betrifft laut BfR vor allem Grundlagenforschung, die Diagnose und Behandlung von Krankheiten sowie die Sicherheitsüberprüfung von Arzneimitteln und Chemikalien. Tests an Tieren für Kosmetika sind dagegen EU-weit verboten.
Mehr als die Hälfte der Versuche in Deutschland dienen der Grundlagenforschung, etwa um Erkenntnisse zu Krebs, dem menschlichen Nervensystem oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu gewinnen. Maßgeblich ist das 3R-Prinzip: Forscher müssen zunächst versuchen, Test an Tieren durch andere Methoden zu ersetzen (Replacement), die Zahl der Versuche und der Testiere auf ein Mindestmaß zu senken, (Reduction) und den Tieren nur so viel Leid zugefügt werden darf, wie für den Forschungszweck unerlässlich (Refinement). Die Versuche müssen genehmigt werden.
Wer prüft die Einhaltung der Regeln für Tierversuche?
Für Genehmigungen von Tierversuchen sind die Bundesländer verantwortlich. In Baden-Württemberg nehmen die vier Regierungspräsidien in Freiburg, Tübingen, Stuttgart und Karlsruhe die Aufgabe wahr, in Bayern die Bezirksregierungen. Eine Behörde entscheidet über Anträge. Zusätzlich gibt eine Ethikkommission Empfehlungen ab. Seit 2013 müssen laut Gesetz je drei Tierschützer und je drei Vertreter von Forschungseinrichtungen in diesem Gremium sitzen.
Welche Vorwürfe erheben die Kritiker?
Im aktuellen Fall geht es um die beratende Ethikkommission in Tübingen. Diese wurde im Herbst neu besetzt. Mehrere Tierschutz-Organisationen werfen dem Regierungspräsidium vor, unbequeme Mitglieder aus dem Gremium zu verdrängen. Tierschutzorganisationen im Südwesten hatten vier Kandidaten vorgeschlagen: Der Landestierschutzverband schickte den Diplom-Biologen und Bio-Ethiker Norbert Alzmann ins Rennen, er hatte außerdem die Empfehlungen der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. (DJGT) und der Tübinger Bio-Ethikerin Professor Eve-Marie Engels. Die DJGT warb zudem für die Tierärztin Kirsten Tönnies und den ehemaligen Kreisoberveterinärrat Karl Pfizenmaier, die Organisation Peta für die Biochemikerin Tina Stippe. Nur Stippe wurde berücksichtigt, allerdings nur als stellvertretendes Mitglied.
Alzmann, Tönnies und Pfitzenmaier erheben in einem 24-seitigen offenen Brief schwere Vorwürfe. Man habe sie offenkundig nicht berufen, weil sie in den Vorjahren die Genehmigungspraxis des Regierungspräsidiums mehrfach kritisiert hätten. Auch der Chef des Landestierschutzverbandes Stefan Hitzler wähnt hinter der Berufungspolitik eine Strategie: „Die Berücksichtigung von Tierschutzanliegen und eine echte Abwägung der ethischen Vertretbarkeit von geplanten Tierversuchen ist offenbar nach wie vor nicht wirklich gewollt.“
Das Land muss fair bleiben, fordert Autorin Katja Korf.
Die Tierschutzseite vertreten in der Tübinger Ethikkommission nun drei Mitglieder der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT). Diese aber wird von anderen Organisationen kritisch betrachtet. Denn: Die TVT lehnt Experimente an Tieren nicht wie die übrigen Vereinigungen grundsätzlich ab. Mitglieder sind auch Veterinäre, die selbst an Tieren forschen. So schreibt Biologe Alzmann: „Wenn alle Kommissionsmitglieder einschließlich der ,Tierschutzvertreter’ bereits grundsätzlich derselben Ansicht sind, kann man nicht von Ausgewogenheit sprechen.“ Der TVT-Vorsitzende Thomas Blaha betont jedoch immer wieder, dies bedeute keineswegs, dass TVT-Vertreter Tierversuche deshalb nicht kritisch prüften. Die geltenden Regeln müssten eingehalten werden.
Die Landestierschutzbeauftrage Julia Stubenbord sagte der „Schwäbischen Zeitung“ dazu: „Die Interessen der zu schützenden Tiere im Versuch müssen in den Kommissionen durch die paritätische Besetzung sichergestellt werden. Ehrenamtliche Mitarbeiter, die diese fachlich und ethisch anspruchsvolle Aufgabe übernehmen, dürfen nicht nach bequem oder unbequem ausgesucht werden, sondern nach der fachlichen Kompetenz.“
Was sagen die verantwortlichen Behörden?
Eine Sprecherin des Regierungspräsidium Tübingen weist die Vorwürfe zurück. Die vorgeschlagenen Kandidaten seien sorgfältig und verantwortungsvoll geprüft worden. „Alle berufenen Kommissionsmitglieder weisen eine hohe fachliche Qualifikation auf und haben die für die Beurteilung von Tierversuchen erforderlichen Fachkenntnisse der Veterinärmedizin, Medizin oder einer naturwissenschaftlichen Fachrichtung“, teilt die der „Schwäbischen Zeitung“ auf Anfrage mit.
Das zuständige Agrarministerium betont, die Kommissionsmitglieder verfügten über ausgezeichnete Fachkenntnisse. Das Ministerium habe die Regierungspräsidien gebeten, die Ethikkommissionen möglichst paritätische mit Vertretern aus Wissenschaft und Tierschutz zu besetzen. „Die Kommissionen im Zuständigkeitsbereich des Regierungspräsidiums Tübingen erfüllen dieses Ziel“, so ein Sprecher von Minister Peter Hauk (CDU).